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Bart-Verbot für Piloten? Darum siehst du kaum Flugkapitäne mit Vollbart

Seit Jahrzehnten hält sich eine Erzählung besonders Wacker: Trägt ein Pilot einen Bart, kommt es zu Problemen. Aber stimmt das?

KI-generiertes Bild eines Piloten mit Bart
© brillianata - stock.adobe.com

Flugzeug ohne Pilot: Wie sicher fühlen sich Deutsche beim autonomen Fliegen?

Ob Geschäftsreise oder ein Wochenendtrip: Fliegen gehört mittlerweile zum Alltag dazu. Doch würde man auch so selbstsicher in den Flieger steigen, wenn kein Pilot im Cockpit sitzt?

Pilotinnen und Piloten tragen die Verantwortung für teils Hunderte Leben. Umso wichtiger ist es, dass sie auch im Ernstfall einen kühlen Kopf bewahren. Kommt es zu starken Turbulenzen oder gar einem Druckabfall in der Kabine, ist es daher unerlässlich, dass die Sauerstoffmaske sitzt. Ein unsauber gestutzter oder gar ein Vollbart kann dabei zu Problemen führen – oder?

Piloten mit Bart – die Mythen der 1970er und ’80er

„Das Bartverbot sei unzulässig“, berichtete Der Spiegel im Juni 1978. Damals hatte die US-amerikanische Trans World Airlines (TWA) einen Piloten der Pan Am vorübergehend beurlaubt, da dieser mit seinem Bart gegen das Flughandbuch der Gesellschaft verstoßen habe. Erst ein Brief der Air Line Pilots Association (ALPA) habe unter Berufung auf eine Schlichtungskommission das Verbot und damit die Beurlaubung des Piloten ausgehebelt.

Damals stand jedoch weniger das Gesundheitsrisiko im Mittelpunkt des Diskurses, sondern vor allem das Narrativ der TWA-Direktoren, dass die US-Bevölkerung „Bärte automatisch mit Hippies und verantwortungslosen Individuen“ in Verbindung bringe. Vollends beigelegt war das Thema mit diesem Konflikt jedoch nicht.

Im Jahr 1987 veröffentlichte die Federal Aviation Administration (FAA) ein Rundschreiben, das unter Berufung auf eine Studie der Community Air Mobility Initiative (CAMI) den „Einfluss von Bärten auf die Effizienz von Sauerstoffmasken“ behandelte. „Die aus diesen Tests resultierenden Daten zeigten, dass die Leistung abnimmt, wenn sich Gesichtsbehaarung entlang der Dichtungsfläche von Sauerstoffmasken für Besatzungen befindet“, hieß es darin. „Dieser Rückgang ist proportional zur Menge der vorhandenen Gesichtsbehaarung, zum Maskentyp, zum Aufhängungssystem der Maske und zum Belastungsgrad der Person.“

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„Keine nachteiligen Auswirkungen auf bärtige Probanden“

Eine 2018 veröffentlichte Studie der kanadischen Simon Fraser University (SFU) erklärte ebendiese Bedenken zu einem Mythos. Dazu setzte Sherri Ferguson, Leiterin der Abteilung Umweltmedizin und Physiologie, ihre Probanden Extrembedingungen aus. Mittels einer hypobaren Kammer simulierte sie Höhen zwischen circa 3.000 und 7.500 Metern über dem Meeresspiegel. Die Teilnehmer wurden mit Sauerstoffmasken des Auftragsgebers Air Canada ausgestattet und in drei Gruppen eingeteilt:

  • mit geringer Gesichtsbehaarung wie Stoppeln (weniger als 0,5 cm lang)
  • mit mittelgroßen Bärten
  • mit langen Bärten (bis zu 40 cm)

Ferguson maß die Sauerstoffsättigung der Probanden bei jedem Höhenwechsel und stellte fest, dass „die Bartlänge absolut keinen Einfluss auf die Sauerstoffsättigung der Probanden hatte.“ Wäre die Sauerstoffsättigung der Probanden abgesunken, wäre das ein akutes Zeichen dafür, dass die Masken aufgrund der Gesichtsbehaarung nicht richtig abdichten könnten.

Im Rahmen einer zweiten Testreihe setzte Ferguson Zinnsäurechlorid ein, um Bedingungen zu schaffen, die dem Rauch eines Feuers ähneln. „Wenn man es einatmet, wird man bald ein brennendes Gefühl in der Lunge haben und die Augen tränen“ – und das sei auch nach einer Minute in der Dampfwolke nicht eingetreten. Richtlinien, die Piloten das Tragen von Bärten verweigern, würden auf überholten Forschungsergebnissen zu veralteten Geräten und Masken beruhen, schloss Ferguson. „Wir haben innerhalb der beiden Parameter unserer Studie keine nachteiligen Auswirkungen auf bärtige Probanden festgestellt.“

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Vorbehalte nicht ganz passé

Trotz der eindeutigen Ergebnisse der SFU-Studie halten wohl einige Fluggesellschaften an den strikten Regelungen für ihr Personal fest. Nun, da klar ist, dass die Maßnahmen kaum mehr wissenschaftlichen Rückhalt genießen, scheinen sie jedoch weit offener mit den schon 1978 durch die TWA-Direktoren angeklungenen Vorbehalten umzugehen. So berichtete New Delhi Television Limited (NDTL) erst 2022, dass die Kabinencrew der Air India ein 39-seitiges Handbuch erhalten habe, das sich mitunter mit dem Erscheinungsbild der Angestellten befasse. Verboten seien etwa graue Haare, ein schwindender Haaransatz und – wie sollte es auch anders sein – Bärte.

Während nur wenige Fluggesellschaften weltweit öffentlich machen, welche Regeln das Cockpit- und Kabinenpersonal in puncto Aussehen beachten müssen, lassen sich innerhalb der Branche doch Trends erkennen. Diese basieren, wie Flyingbynumbers berichtet, in Teilen auf den veralteten Sicherheitsbedenken, aber auch an etwaigen regionalen Schönheitsidealen.

Demnach würden die USA noch immer am weitesten hinter der „Bewegung der bärtigen Piloten“ hinterherhinken. Europäische und nahöstliche Fluggesellschaften seien wesentlich offener für Gesichtsbehaarung. In Branchenforen wie Pilotenboard.de zeigt sich aber auch hier noch immer eine zurückhaltende Stimmung – auch unter Berufung auf bereits behandelte Sicherheitsmythen.

Fernöstliche Fluggesellschaften gingen erst kürzlich noch immer recht offen gegen Bartträger vor. Erst 2017 legte ein südkoreanisches Gericht einen langen Rechtsstreit bei und sprach damit einem Piloten das Recht auf einen Bart zu. Im Jahr 2014 hatte ihn Air Asiana nach Informationen des Österreichischen Rundfunks (ORF) aufgrund ebendieser Gesichtsbehaarung für einen Monat vom dienst suspendiert.

Quellen: Der Spiegel; Federal Aviation Administration; New Delhi Television Limited; Flyingbynumbers; Pilotenboard.de; Österreichischer Rundfunk

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