Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie setzt mehr oder minder feste Regeln. Sie resultieren im wesentlichen aus Raum und Zeit. Innerhalb dieser Grenzen aber bietet das Konzept auch beträchtlichen Spielraum. Aus der Feldgleichung der Allgemeinen Relativitätstheorie ergeben sich sogar Wurmlöcher, also Abkürzungen durch die Raumzeit. Diese theoretischen Gebilde galten bislang als ausgesprochen instabil. Glaubt man aber neuesten Forschungsergebnissen des Physikers Pascal Koiran, muss dem nicht so sein.
Wurmlöcher – kurz erklärt
Ein Wurmloch, auch Einstein-Rosen-Brücke genannt, ist eine Art Tunnel, der zwei Punkte der Raumzeit miteinander verbindet. Beschrieben wurden Konstrukte wie diese erstmals im Jahr 1916 durch den Physiker Ludwig Flamm. Im Rahmen ihrer Untersuchungen zur Gravitationsfeldgleichung griffen in den 1930er Jahren auch Albert Einstein und Nathan Rosen diese Idee auf. Sie stellten damals die These auf, dass Schwarze und Weiße Löcher durch Wurmlöcher miteinander verbunden sind.
Bislang konnte die Wissenschaft noch keine Beweise für die Existenz von Wurmlöchern erbringen. Das könnte unter anderem daran liegen, dass sie sich nach heutigem Stand der Technik nicht von Schwarzen Löchern unterscheiden lassen. Sollten wir sie aber entdecken – und vor allem erreichen – könnten wir beobachten, wie sie den sofortige Raumtransfer oder gar Zeitreisen ermöglichen. Das zumindest vermuteten Einstein und Rosen.
Metriken der Allgemeinen Relativitätstheorie
Du kannst dir Einsteins wohl bekannteste Theorie vorstellen wie einen Automaten. Gibst du ihr einen Input – etwa eine bestimmte Masse – spuckt sie die aus, wie sich dieser im Laufe der Zeit aufgrund der Schwerkraft verhalten wird. Die daraus resultierenden Beschreibungen nennt man „Metriken“. Sie repräsentieren den Weg, den dein Input bis zum fertigen Ergebnis zurücklegt.
Somit können beim selben Input unterschiedliche Metriken angewandt werden. Einige von ihnen eignen sich nämlich für bestimmte Fälle besser als andere. Im Kontext von Schwarzen Löchern und Wurmlöchern etwa wenden Wissenschaftler:innen in der Regel auf die sogenannte Schwarzschild-Metrik zurück. Sie beschreibt das Gravitationsfeld einer homogenen, nicht geladenen und nicht rotierenden Kugel. Das gelingt auch ganz gut – aber nur außerhalb einer bestimmten Entfernung zu einem Schwarzen Loch, dem sogenannten Schwarzschild-Radius.
Durch eine Änderung der Zeitvariablen in der Schwarzschild-Metrik erhält man eine leichte Abwandlung: die Eddington-Finkelstein-Metrik.
Einstein-Rosen-Brücken – stabil oder nicht?
Das Problem der Schwarzschild-Metrik ist klar: Passiert man den Schwarzschild-Radius, auch Ereignishorizont genannt, bricht sie völlig zusammen. Es muss also eine andere Lösung her, um ab diesem Punkt weiterzudenken. Pascal Koiran sieht in der Eddington-Finkelstein-Metrik den richtigen Ansatz.
„Es ist bekannt, dass eine Testmasse, die in ein Schwarzes Loch fällt, den Ereignishorizont für einen endlichen Wert der Schwarzschild-Zeitvariablen t nicht erreicht. Im Gegensatz dazu zeigen wir, dass der Ereignishorizont für einen endlichen Wert der Eddington-Finkelstein-Zeitvariablen t‘ erreicht wird.“
Pascal Koiran
Wie aber verhalten sich die Teilchen, wenn die Singularität inmitten dieses Lochs mit der eines Weißen Lochs verbunden ist? Die Standardantwort entsprechend der Schwarzschild-Metrik lautet, dass Wurmlöcher viel zu instabil sind, um überhaupt etwas zu Transportieren. Die extremen Kräfte in ihrem Inneren würden sie dazu zwingen, sich wie ein Gummiband zu dehnen und zu brechen.
Physiker stellt Standardantwort in Frage
Im Rahmen seiner im Fachmagazin General Relativity and Quantum Cosmology veröffentlichten Forschungsarbeit erklärt Koiran, dass er mithilfe der Eddington-Finkelstein-Metrik den Weg eines Teilchens durch ein hypothetisches Wurmloch leichter nachvollziehen könne. Demnach könne ein Teilchen den Ereignishorizont durchqueren, in den Tunnel des Wurmlochs eintreten und auf der anderen Seite wieder entkommen. Das alles würde binnen einer endlichen Zeitspanne passieren.
„Wir zeigen, dass das Teilchen den Wurmlochschlund für einen endlichen Wert t′1 des Zeitmarkers t′ erreicht und seine Flugbahn durch den Schlund für t′>t′1 fortsetzt. Ein solches Verhalten macht in der Schwarzschild-Zeit keinen Sinn, da es darauf hinauslaufen würde, dass das Teilchen seine Flugbahn „über das Ende der Zeit hinaus“ fortsetzt.“
Pascal Koiran
Anders als die Schwarzschild- habe sich die Eddington-Finkelstein-Metrik an keiner Stelle dieses Weges falsch verhalten. Will heißen: Wurmlöcher sind nicht so katastrophal, wie bislang angenommen. Entgegen bisheriger Annahmen erlaubt die Allgemeine Relativitätstheorie also auch stabile Einstein-Rosen-Brücken.
Ein Problem bleibt
Während sich Einsteins Arbeit ebenso wie die Koirans hauptsächlich auf die Gravitation und die Raumzeit bezieht, gibt es leider noch weitere physikalische Systeme, die einem Wurmloch in die Wege kommen könnten. Da wäre etwa die Thermodynamik. So sind Weiße Löcher mit ihr nur sehr bedingt vereinbar. Würden Physiker versuchen, eine Verbindung oder gar eine Kombination zwischen einem Schwarzen und einem Weißen Loch herzustellen, würde die Mathematik nahelegen, dass die resultierenden Energiedichten alles zerschlagen würden.
Wurmlöcher gelten also nach wie vor erst einmal als theoretische Konzepte. Doch bedenke: Dasselbe sagten wir noch vor einigen Jahren auch über Schwarze Löcher.
Quellen: „Infall time in the Eddington-Finkelstein metric, with application to Einstein-Rosen bridges“ (2021, General Relativity and Quantum Cosmology); eigene Recherche