Unser Sonnensystem wirkt auf den ersten Blick ruhig und stabil. Doch in Wahrheit ist es ein dynamisches Gefüge. Planeten kreisen um die Sonne, Monde beeinflussen Gezeiten, und hin und wieder zieht ein fremder Stern vorbei – ein sogenannter Stellar Flyby. Solche Vorbeiflüge können die Bahnen von Himmelskörpern verändern. Doch könnten sie auch unser Klima beeinflusst haben?
Die Idee: Naher Stern als Klimatreiber
Diese Frage stellen sich Wissenschaftler*innen schon länger. Besonders das Paläozän/Eozän-Temperaturmaximum – ein Klimaereignis vor etwa 56 Millionen Jahren – steht im Mittelpunkt der Diskussion. Damals stiegen die globalen Temperaturen um etwa fünf bis acht Grad Celsius, begleitet von massivem Kohlenstoffeintrag in Atmosphäre und Ozeane. Der Auslöser ist bislang unklar. Doch eine Theorie bringt vorbeiziehende Sterne ins Spiel.
Schon 2024 veröffentlichten Nathan Kaib vom Planetary Science Institute im US-amerikanischen Fort Lowell und Sean Raymond vom Department of Physics & Astronomy der University of Oklahoma eine Studie, in der sie simulierten, wie nahe Sternpassagen das Sonnensystem beeinflussen könnten. Besonders im Fokus: HD 7977, ein sonnenähnlicher Stern, der vor rund 2,8 Millionen Jahren möglicherweise bis auf 3.900 astronomische Einheiten (au) an unser System herankam – mit einer Wahrscheinlichkeit von fünf Prozent
Kaib und Raymond zeigten, dass solche Flybys die Umlaufbahnen der äußeren Planeten verändern könnten. Und da die Erde durch Gravitationskräfte mit diesen Riesenplaneten wie Jupiter verbunden ist, wäre es denkbar, dass sich dadurch langfristig auch ihre Bahn – und somit das Klima – verändert. Ihre Schlussfolgerung: Klimamodelle für Zeiträume vor 50 Millionen Jahren sollten mögliche Sternpassagen mit einbeziehen.
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Gegenthese: Kein Einfluss auf die Erdumlaufbahn
Richard Zeebe und David Hernandez von den Universitäten Hawaii und Yale legten 2025 nach – mit einer umfassenderen und präziseren Modellierung. Sie berücksichtigten Faktoren, die Kaib und Raymond weggelassen hatten: etwa den stabilisierenden Effekt des Mondes und den Quadrupolmoment der Sonne (J2). Diese Komponenten sind entscheidend für die langfristige Stabilität von Planetenbahnen.
In über 400 Simulationen fanden Zeebe und Hernandez keinen Hinweis darauf, dass selbst enge Sternbegegnungen wie die mit HD 7977 nennenswerte Auswirkungen auf die Umlaufbahn der Erde hatten – nicht einmal über Zeiträume von mehr als 56 Millionen Jahren. Ihre zentrale Aussage: Nur vollständig berechnete physikalische Modelle liefern realistische Aussagen zur Erdumlaufbahn und damit zu möglichen Klimaveränderungen.
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Blick in die Zukunft: Gliese 710 naht
Das Sonnensystem ist von Natur aus chaotisch – kleine Störungen können sich mit der Zeit stark auswirken. Doch bedeutet das automatisch, dass die Erde klimatisch aus dem Gleichgewicht gerät, wenn ein Stern vorbeizieht?
Kaib und Raymond meinen: Ja, zumindest unter bestimmten Bedingungen. Zeebe und Hernandez widersprechen: Nur mit unvollständigen Modellen entsteht dieser Eindruck. Werden alle bekannten Einflüsse berücksichtigt – inklusive Mond, J2 und Asteroiden – bleibt die Bahn der Erde auch über Dutzende Millionen Jahre hinweg bemerkenswert stabil.
Stellar Flybys sind übrigens kein einmaliges Phänomen. Der nächste bekannte Besucher, Gliese 710, ein orangefarbener Zwergstern, wird in etwa 1,29 Millionen Jahren bis auf 10.520 au an das Sonnensystem herankommen. Er wird wohl die Oortsche Wolke durchqueren und könnte eine Kometenwelle auslösen. Für die Stabilität der Erdumlaufbahn sehen Fachleute jedoch keinen Grund zur Sorge.
Quellen: „Passing Stars as an Important Driver of Paleoclimate and the Solar System’s Orbital Evolution“ (The Astrophysical Journal Letters, 2024); „No influence of passing stars on paleoclimate reconstructions over the past 56 million years“ (arXiv, 2025)
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